Ich habe heute meine erste COVID Impfung erhalten.
Nein, ich strecke nun nicht meinen gepflasterten Oberarm stolz in die Kamera. Ich bin verwirrt und zwiegespalten.
Es irritiert mich, mit welchem Jubel wir Menschen diese Impfung feiern. Ja, sie hilft diese Pandemie zu stoppen, aber all die anderen, wirklich schweren Probleme dieser Welt, die uns hierher geführt haben, löst sie nicht.
Das haben wir auch nicht erwartet, oder? (Was genau haben wir eigentlich erwartet?)
Jetzt geht es mal um Corona bzw. darum, es auszurotten, gell? Schnell weg damit. Schnell zurück ins normale Leben. Schnell schnell.
Das sind wir Menschen. Kein Innehalten mehr. Kein Hinterfragen, immer mit, mit dem Strom. Auf jeder Welle reiten.
Nein, ich möchte nicht alle Menschen über einen Kamm scheren und mich ausnehmen. Ich weiß, dass es viele gibt, die viel hinterfragen. Damit meine ich nicht die Coronaleugner. Nein, ich meine die, die ebenfalls verwirrt dastehen und fragen: Ehrlich, ist es das, was vorher war, wo wir so unbedingt hin zurück wollen? War das Leben vorher wirklich so lebenswert und großartig?
Ich bin überzeugt, dass wir jetzt ein Problem bekämpfen, das nächste aber schon hinter der Ecke lauert. Und dahinter das nächste… und nächste…
Ich merke hier mit meinem Pflaster am Arm, wie sehr ich dieses „normale“ Leben zuweilen unnormal finde, unnatürlich. Es macht mich verrückt, keinen Ausweg zu sehen, weil ich nicht einfach drei Kinder schnappen und in den Wald ziehen kann. Würde ich das überhaupt wollen? Was will ich? Was will ich WIRKLICH?
Ich weiß, dass ich dieses Leben so eigentlich nicht will. Das Laufen im Hamsterrad. Manchmal stehe ich auf dieser Welt und wundere mich, finde es völlig absurd, wie wir tagein tagaus losrennen, die Kinder in Schulen stecken, wo sie auf Leistung getrimmt werden. Wo sie ihre wahre Identität nicht selten verlieren unter all dem Müssen und Sollen. Während wir einer Arbeit nachgehen, damit wir den Kindern diese Bildung finanzieren können und ein Zu Hause bieten, in dem sie wachsen sollen. Das oft vollgestopft ist mit Zeug, ohne dem wir auch gut leben könnten. aber von dem wir so schlecht los kommen, weil es alle um uns herum haben und der Wunsch nach dem Selberhabenmüssen immer größer wird. Weil wir glauben dieses eine Ding macht uns glücklich. Diese fünf Minuten Glück. Wir kaufen in Plastik eingepackte Lebensmittel, die wir auspacken und essen, der Rest fliegt auf den Müll. Wir halten Tiere unter qualvollen Umständen, um deren krankes Fleisch zu essen und das möglichst billig. Wir leben in überhitzten Städten und bauen Klimaanlagen in Häuser, die nicht für Menschen gebaut sind, denn dann wären sie kühler, wohnlicher, gesünder. In neuentwickelten Stadtgebieten wachsen dünne Bäumchen in kleinen Quadraten, die mit Kies zugeschüttet werden, rundum Betonwüste. Dabei ist die Stadterwärmung kein neues Thema. Wir warten an roten Ampeln und hetzen drüber, denn die Rotphasen für Autos dürfen nicht zu lang sein, sonst entsteht Stau. Wir streiten uns auf viel zu engen Rad- und Fußwegen und machen Platz für die vierrädrigen Monster. Wir zahlen den Menschen, die uns im Notfall, in schwierigen Zeiten helfen und unsere Kinder betreuen geringste Löhne, während Politiker sich in Ämtern die fette Kohle von Schreibtischsessel zu Schreibtischsessel zuschieben. Im Glauben, sie würden unsere Länder regieren, dabei dirigieren sie nur die absurdesten Tänzchen, die wir dann ausführen. Youtuber spielen Computerspiele und lassen sich dabei von Millionen Menschen zusehen, um damit die fette Kohle zu verdienen, dabei suggerieren sie unseren Kindern: Das ist das Leben! So geht’s!
Diese Absurditäten machen mich verrückt. Manchmal betrachte ich die Gesellschaft und möchte in den Wald rennen und nie wieder raus kommen.
Was aber tun? Wie können wir ein Leben leben, das uns sinnvoll erscheint, in dem wir, statt diese Welt weiter zu ruinieren, sinnvoll leben, achtsam und respektvoll allen anderen gegenüber. Ein Leben, das ich nicht als Alien im Wald, als Aussteiger und Lonewolf lebe, sondern als Teil dieser Gesellschaft, ohne alle ihre Tänze mitzutanzen.
Dann merke ich wieder, dass es nicht immer im Großen geht, dass ich nicht immer gleich alles umkrempeln kann. Dass ich die Welt nicht retten kann.
Ich kann nur klein anfangen. Mich selbst immer wieder fragen: Was will ich? Was will ich wirklich? Wie kann ich länger als fünf Minuten glücklich sein? Bestimmt nicht, in dem ich zurück hüpfe in dieses „normale“ Leben von vor Corona.